Eigentlich hat meine Reise schon am Sonntag abends um 22 Uhr angefangen: Mein Papa hat mich zum Flughafen nach Nürnberg gefahren, wo ich dann um kurz vor 1 Uhr angekommen bin. Zwei Stunden später beim Check-In erlebte ich schon mal meinen ersten Schock, mit mir auch alle anderen Israelreisenden. In das separierte Terminal marschierten drei Polizisten mit großen Maschinengewehren hinein - da wurde mir schon etwas mulmig. Glücklicherweise war allgemein nicht viel los, aber schon wieder bahnte sich ein neues Problem mit dem Koffer an (mein Israel-Gepäcktrauma). Die Dame am Schalter meinte zu mir, ich hätte nur 20 kg als Freigepäck. Ich hatte vor dem Packen zuhause extra nochmal nachgesehen im Internet und war mir absolut sicher, dass es 25 kg sind - vielleicht aber doch nur zu 99% sicher? In meinem Kopf gingen alle Alarmglocken an, ich habe sie verzweifelt angeschaut und erklärt, dass ich ein ganzes Jahr in Israel bleiben werde. "Achso, na dann - Ja das passt!", Hürde Nummer eins also wäre geschafft. Security Check als Nächstes, es war eigentlich entspannt, aber doch äußerst genau. Sprengstofftest an Händen und in der Tasche, von oben bis unten abgetastet (jede Falte und Tasche an der Kleidung, Schmuck, Hosenbund, Schuhe,...) und natürlich Metalldetektor - ich hätte mich praktisch auch einfach einmal ausziehen können, das wäre schneller gegangen. Die größte Sorge war aber mein übergewichtiges Handgepäck, weil meine Handtasche stolze (unerlaubte)
7 kg auf die Waage brachte - das hat aber niemanden gekümmert.
So saß ich dann um kurz vor 4 Uhr vor dem Gate und kein Essen weit und breit, doch mein Magen knurrte ziemlich. Also habe ich als Ablenkung Hebräisch gelernt und die Menschen um mich herum beobachtet. Es waren auch einige israelische Familien da und ein paar Wörter konnte ich schon verstehen :)
Der Abflug verzögerte sich um eine knappe Stunde und ich war schon seit 24 Stunden wach... Um 7 Uhr sind wir dann endlich abgehoben und ich bin komplett müde in den Sitz gesunken. An und für sich war der Flug in Ordnung, mir war etwas flau im Magen, aber wir bekamen noch etwas zu essen und das machte es dann auch besser. Sobald man dann mal über der Türkei und Zypern ist, lässt einen der fantastische Ausblick auf das Mittelmeer fast alles vergessen. Meine Gefühlslage war auch sehr verwirrend zu diesem Zeitpunkt: Ich hatte weder Angst, noch richtige Vorfreude oder Neugierde - eigentlich einfach nur Aufgeregtheit...
Um kurz vor 12 Uhr (Ortszeit) sind wir dann gelandet, nächste Hürde also Visum an der Border Control. Es war wirklich viel los und man musste ein Weile warten und konnte dabei sich die anderen Reisenden anschauen. Meine beste Entdeckung war ein älterer jüdischer Mann (traditionell gekleidet), der für seinen jüdischen Hut eine eigene Reiseverpackung hatte. Der Hut wurde zwischen zwei hutförmige Schalen eingeklemmt, wie bei Gipsabdrücken, und dann mit einem riesigen Karabiner am Trolley befestigt. Dann war auch schon ich am Box Office dran und es lief erstaunlich harmlos ab. Der Beamte schien schon zu ahnen, dass ich ein Volunteer-Visum will. Also nur noch Pass, Boardingkarte und Visa Entry Form vorlegen, etwas warten und schon hatte ich meine kleine Blue Card mit dem B4 Visum für ein Jahr. Das kam mir etwas komisch vor, weil normalerweise Befragungen stattfinden, aber wenn die Beamten nicht wollen....
Ich nahm dann gleich den nächsten Zug nach Tel-Aviv und konnte mit Hilfe der überaus freundlichen und hilfsbereiten Israelis an der richtigen Station aussteigen. In Tel-Aviv gibt es nämlich vier große Bahnhöfe und nur sehr unverständliche hebräische Ansagen im Zug. Obwohl ich schon etwas Hebräisch gelernt hatte, schüchterte es mich ziemlich ein, dass ich so unglaublich wenig verstand und auch viele wichtige Sachen nicht in Englisch angeschrieben sind. Als ich bei der Fahrt in die Landschaft schaute, bekam ich zum ersten Mal so etwas wie Angst. Alles sah ausgedorrt und trostlos aus, ich fühlte mich nicht sonderlich selbstständig und einfach fremd und fehl am Platz. "Was mach ich eigentlich hier? Ich schaffe das bestimmt nicht..." - zum ersten Mal dachte ich, dass ich allein und irgendwie auch hilflos bin in diesem Land. In Deutschland war es das totale Gegenteil: Ich fühlte mich allem gewachsen und wollte nur noch weg nach Israel...
Dann noch ein paar Stationen mit dem Bus zur Ben Yehuda Street, wo mein Hostel ist. Ich war schon völlig durchgeschwitzt und natürlich übermüdet, wenig Schlaf und immer 40 kg Gepäck mit sich herumschleppen ist nicht so leicht. Dass ich diesen Kraftakt geschafft habe, verdanke ich höchst wahrscheinlich der lieben Susi und ihren vielen Strong-Stunden ;)
Das Hostel "Shahar's Luxury Dorm" hatte eine geniale Lage: 5 min zum Strand und mitten im Zentrum. Der Besitzer Shahar hatte sich die oberste Wohnung in einem völlig normalen Haus gekauft und als Dorm mit Stockbetten, Gemeinschaftsküche, Sofa und Bad ausgestattet. Am besten: Dachterrasse mit einem mega Ausblick über Tel-Aviv und den Strand! Die Atmosphäre war aber tatsächlich das Schönste, alle anderen Reisenden (Lennard aus Leipzig, Scott aus Florida, Simon aus Lyon, Maria aus Chile) konnten mir Tipps für Israel geben und wir haben uns eigentlich über Gott und die Welt unterhalten können.
Am Nachmittag streifte ich noch durch die Straßen, kaufte mir eine israelische SIM-Karte (dank meines Dual-SIM-Handys kann ich auch meine deutsche Nummer behalten) und war noch beim Essen. An dieser Stelle schon die erste Restaurantempfehlung: House of Hummus in der Allenby Street. Es ist realtiv günstig und die Qualität phänomenal! Neben Hummus servieren sie auch viele andere arabische/israelische Spezialitäten, ich probierte den Shakshuka Hummus. Shakshuka ist ein traditionelles Ei-Tomaten-Gericht und Hummus eine leckere Creme aus Kichererbsen, Sesampaste und Gewürzen - dazu wird immer Pita serviert.
Gut gestärkt machte ich mich auf zum Carmel-Market und hatte dann wirklich das Gefühl in den Nahen Osten einzutauchen. Ein Getümmel aus Menschen, eng beieinander stehende und vollgepackte Ständen und eindeutig zu viele Sinneseindrücke gleichzeitig. Auf dem Markt kriegt man einfach alles für sein Haushalt: Von Gewürzen, Nahrungsmitteln, Obst und Gemüse über Kleidung und Haushaltswaren bis hin zu Kippas. Man sah auch wirklich alle möglichen Leute dort, Einheimische, Touristen, religiös gekleidete Familien etc... Grundsätzlich scheint die Kleiderordnung in Tel-Aviv nicht existent zu sein, die meisten Jungs haben nur Badeshorts und Flipflops an und die Mädels Shorts und ein Crop-Top (wenn überhaupt so viel Stoff). Die beste Kleidungskombi habe ich mitten auf dem Markt gesehen: Ein Junge mit Flipflops, Badeshorts, ohne T-Shirt UND Kippa - das gibt's nur in Tel-Aviv!
Natürlich musste ich mir für das Abendessen dann noch eine frische israelische Mango kaufen und wurde bald darauf von einem Rabbi angesprochen. Er saß an der Seite und fragte mich nach den Namen meiner Familienmitglieder, für die er alle ein Gebet auf Hebräisch sprach. Für jeden Einzelnen gab er mir ein rotes Bändchen (laut Wikipedia ein "Kabbalah") und natürlich noch eins für meinen "future husband" - wie sich herausstellte auch alles nicht ganz kostenlos. Ich bin mir nicht sicher, ob das eine Touristenfalle ist, aber nach einer kurzen Internetrecherche scheint es ein relativ üblicher Brauch zu sein...
Am Ende meines Stadtspaziergangs musste ich natürlich noch zum Strand! Dort offenbart sich ein gefühlt komplett anderes Tel-Aviv. Die Straßen in der Stadt sind auch von alten und ungepflegten Häusern geprägt, doch an der Strandpromenade stehen schöne, neue und hohe Gebäude. Die vielen Palmen säumen den Fahrrad- und Gehweg, wo auch einige Büromänner mit elektrisierten City-Rollern (wie zu Kinderzeiten) fahren. Teilweise schaut es auch etwas nach Miami aus, weil überall kleine überdachte Sportstationen stehen und es auch einige Surfer gibt.
Israelis sollen ja grundsätzlich sehr offen sein - das kann ich jetzt auch selber bestätigen! Ich bin einfach gelaufen und plötzlich spricht mich ein junger Israeli an (ca. 25 Jahre) und fragt mich, woher ich denn komme. Wir haben uns noch ein paar Minuten weiter unterhalten bis ich dann in eine andere Richtung musste, das würde in Deutschland nie gehen. Vielleicht ist das aber auch nur ein beliebter Anmachspruch, in Tel-Aviv funktioniert der bestimmt sehr oft...
Schließlich stand direkt auf dem Weg eine riesige Menschenmenge und traditionelle (?) israelische Musik wurde von einem DJ gespielt. Ein Animator hat anscheinend in der Mitte die Schritte für Volkstänze angesagt, jedenfalls hat es funktioniert und auch gut ausgeschaut - Lebensfreude pur!
Mein erster Eindruck von Tel-Aviv: Ich liebe diese Stadt und fühle mich irgendwie zuhause. Die Häuser sind nicht alle perfekt und aufgeräumt, auch etwas chaotisch, doch die Strandpromenade und alle Fassaden repräsentieren alles Schöne und die Lebensfreude in der Stadt. Im übertragenen Sinne steht das auch für das Leben junger Menschen dort und für mein Leben: Es läuft nicht immer alles gut, weder im Haushalt noch im Inneren eines Menschen, doch außen kann man trotzdem noch Freude zeigen und all das Schöne und Aufregende im Leben zu genießen - das ist Tel-Aviv für mich.
Im Hostel angekommen verkostete ich die Mango (lecker!) und unterhielt mich mal wieder sehr angeregt mit den anderen Gästen. Etwas später ging ich wieder an den Strand und machte noch eine kleine Yogasession, die mit einem kleinen Bad im Meer beendet wurde. Das Gefühl kann man einfach nicht beschreiben: Wind in den Haaren, das Wasser spült den Sand unter den Füßen weg, eine leichte warme Brise umweht Beine und Arme - und endlich glaubt man, am richtigen Ort und auf seinem ganz persönlichen Weg angekommen zu sein.
Nach 36 Stunden wach und einer GROSSEN Menge an Erlebnissen wollte ich nur noch schlafen... Von einem neuen Gast holte ich mir noch ein paar Local-Tipps für Haifa und Infos über den israelischen Militärdienst, doch dann überkam mich der Schlaf und ich konnte mich endlich ausruhen.
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