Endlich Wochenende! Eigentlich bin ich nicht so glücklich, wenn meine Freizeit auf Shabbat fällt, weil der öffentliche Transport sehr eingeschränkt ist... Zum Glück gibt es aber noch die arabischen Sheruts! Die fahren eigentlich rund um die Uhr und man kommt schnell von A nach B. Die Fahrt von Rishon nach Tel Aviv macht 13 Shekel (ca. 4 Euro) und ist damit doppelt so teuer wie der Bus, aber na gut. Man steigt einfach ein, wartet bis alle Plätze besetzt sind (normalerweise 10 Stück), dann nennt der Fahrer den Preis und man reicht sein Geld einfach nach vorne. Wir wurden an der zentralen Busstation an der Levinsky Street rausgelassen und liefen dann in die Stadt rein.
Dank meines tollen Lonely Planet Reiseführers habe ich die kostenlose Bauhaus Führung von der Touristeninformation Tel Aviv-Yafo gefunden, die jeden Samstag um 11 Uhr in der Rothschild Street startet. Auf dem Weg dorthin haben Lisa und ich allerdings noch eine interessante Beobachtung gemacht... In den Straßen um den Busbahnhof sieht man viele Äthiopier, Inder und Asiaten. An diesem Tag trugen aus einem uns unbekannten Anlass alle äthiopischen Frauen perlenbestickten weiße Kleider und an der Straße war ein langer Tisch mit Jindra (Brot) und einem Eintopf ausgebaut. Alle standen beisammen, aßen und schienen irgendetwas zu feiern. Vor allem die Frisuren der Frauen waren umwerfend! Ich habe mich allerdings nicht getraut ein Foto zu machen...
In der Rothschild Street angekommen erkannten wir schon die anderen Teilnehmer der Tour: Kamera, gute Schuhe und Sonnenschutz. Die Reiseführerin war schon etwas älter, aber sprach gut Englisch und war sehr nett. Da dieses Jahr die 70-jährige Unabhängigkeit Israels gefeiert wird, wurde die ganze Tour mit geschichtlichen Fakten gefüttert. Dabei zeigte sie uns das schöne Bauhaus-Erbe der Stadt. In Tel Aviv kann man allerdings von keinem "reinen" oder "typischen" Bauhaus sprechen, weil oft verschiedene Einflüsse zusammenkommen - das ist dann der Tel Aviv "elective style".
Tel Aviv ist nämlich sehr jung, die Stadt wurde erst 1909 von 60 Familien gegründet (manche sagen 66). Bei dieser "aliya" - Einwanderung nach Israel - handelte es sich weniger um die jungen Kibbutz-Pioniere, sondern um eine wohlhabendere Business-Einwanderung. Daher rührt wahrscheinlich auch der noch heute bestehende Start-Up-Geist Tel Avivs. Dieses Familien haben sich nämlich einfach so in den Kopf gesetzt, auf diesem Stückchen Land eine glänzende Metropole im Heiligen Land zu erbauen.
Zum Namen der Stadt: Tel Aviv heißt "Frühlingshügel" und wurde aus dem Roman "Altneuland" des Zionsimusbegründers Theodor Herzl übernommen. Und auch in fast jeder israelischen Stadt findet man eine Herzl Street.
Bei der Stadtführung erfuhren wir auch, dass bei der Entstehung und Ausdehnung Tel Avivs die Straßen nach den prominenten Besuchern der Stadt und natürlich nach israelischen/jüdischen bedeutenden Personen benannt wurde.
Tel Aviv wurde also erst Anfang des 19. Jahrhundert aufgebaut und deswegen findet man dort auch so viele Bauhaus-Gebäude, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen. Dieser sehr cleane Baustil entstand nämlich zur gleichen Zeit und passt meiner Meinung nach perfekt in den Nahen Osten. Verschnörkelte französische Häuschen würden nicht in die Kulisse mit Meer, Strand und sengender Sonne passen. Auch sieht man nie dunkle Häuser, sondern alles ist entweder weiß, cremefarben oder sandig beige - deswegen auch der Name "The White City".
Meine Kamera war während der zweistündigen Führung im Dauereinsatz und ich bin wirklich über die nette Leihgabe meines Bruders dankbar! Bald waren wir dann in der Independence Mall (ein Straßenabschnitt) angekommen, welche man an dem goldenen Independence Trail erkennt. Der Gehsteig wird von einem messingfarbenen Band geziert, welches entlang bedeutender Orte für die Errungenschaft der Demokratie und Unabhängigkeit des "Jüdischen Staates Israel" führt. Die Tour endete im Independence Pavillion, wo ein kurzer Film auf Englisch über die Geschichte des Staates Israels gezeigt wurde. Es zog also nochmal der Geschichtsstoff der 12. Klasse an mir vorbei und ich war froh, dass mir alle Ereignisse bekannt waren. Ich weiß aber nicht genau, was ich davon halten soll, weil ich alle Aussagen immer hinterfragt habe. Vor allem der Schlussgedanke "Unabhängigkeit und Frieden für uns alle" stößt bei mir auf Protest, wenn man weiß, dass die israelische Regierung auch schon Krankenhäuser in Gaza bombadiert hat.
Am besten hält man sich aber aus allem Politischen heraus und probiert einfach die Kultur und das Hier und Jetzt zu genießen. Sobald ich nämlich darüber nachdenke, was eigentlich hier in diesem Land an Konflikten und Aggressionpotenzial besteht, dann wird mir anders. Bei einem Blick auf die Karte fiel mir auch auf, dass eine Stunde nördlich von mir das wunderschöne junge Haifa liegt und eine Stunde südlich von mir Gaza, wo Raketenangriff geflogen werden...
Wir schauten uns danach noch den Sarona Market an, welcher der erste überdachte Food Market in Tel Aviv ist. Es ist ein großes Durcheinander an mutlikulti-Gerüchen und auch an Shabbat ist dort Hochbetrieb. Im Gebäude drinnen merkt man auch gar nicht wirklich, dass man in Israel ist - es ist fast genau wie ein Food Court in Deutschland oder den USA (bis auch Datteln, Gewürze & Co natürlich).
Danach sind wir noch etwas durch die Straßen geschlendert und haben noch im Rubenstein-Pavillion einen Zwischenstopp eingelegt. Die aktuelle Ausstellung über Architektur ist nämlich kostenlos und zeigt den Zusammenhang zwischen Stadtplanung und Hausbau mit der Besiedelung Israels auf. Normalerweise kann ich mit solchen Ausstellungen wenig anfangen, aber der Geschichtsbezug war wirklich interessant!
Wir beide waren schon etwas müde und machten noch im Hipster-Restaurant "Benedict" eine Kaffeepause. Nicht nur weil das 24/7 Frühstücksrestaurant perfekt in das Hipster-Tel Aviv passt, sondern auch weil wir auf der Arbeit immer nur Pulverkaffee bekommen. Nichts geht über einen richtig guten Kaffee aus dem Vollautomaten!
Ich bin dann bald wieder Richtung Busbahnhof zurückgelaufen, weil ich für meinen Akko-Trip am nächsten Tag ausgeschlafen sein wollte. Zum Glück stehen bei den gefühlt 100 Sheruts alle Fahren am Straßenrand und rufen das Ziel aus - sonst hätte ich nie im Leben das richtige Auto gefunden.
Mein Fazit von dem Tag: Tel Aviv ist glaube ich nicht wirklich Israel. Die Gründungsgeschichte ist natürlich sehr klassisch auf einer Aliya beruhend, doch die Stadt hat bis auf Jaffa keine präsente Altstadt. Alles ist mit Hochhäusern, Neubauten und schicken Läden zugepflastert. Mir fehlt dort noch so dieses NahOst-Gefühl, mir ist es noch nicht exotisch genug. Für mich persönlich ist Tel Aviv eine Art Berlin mit Mittelmeer-Strand und Meer - der Sehnsuchtsort für den (kleinen) Großstadthipster in mir.
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