Im bescheidenen Zichron Ya'acov, das bei Caesarea und somit südlich von Haifa liegt, befindet sich der Weinspeicher Israels. Aber das hübsche Dorf hat nicht nur Wein, sondern schaut auch auf eine beachtlichen geschichtlichen Hintergrund. Der Name heißt nämlich übersetzt so viel wie "Erbe zu Ehren Jakobs" und ist somit nach dem Vater des Dorfheldens Baron Edmond de Rothschild benannt. Er brachte die Weinindustrie in das Bordeaux Israels und baute aus dem Nichts ein großes Gewerbe auf. Mal wieder typisch Israels, es ist ein richtiges Start-Up-Land!
Den Tag begann ich in den etwas außerhalb gelegenen Ramat HaNadiv Gärten, welche eine Einrichtung zum Gedenken an die Rothschilds sind und auch ein kleines Nature Research Center für Schulklassen und Interessierte enthalten.
Die Gärten liegen etwas außerhalb von Zichron und die dazugehörige Bushaltestelle liegt direkt an der Hauptstraße mitten in einer Baustelle. Zum Glück entdeckte ich aber auf Google Maps, dass noch ein kleines Stück des Israel Trails zum Dorf hinführte. Es war wirklich schön nichts als Natur und Stille um sich herum zu haben. Im Krankenhaus ist immer viel Trubel, ständig piepen irgendwo Monitore und man kann an keinem Zimmer vorbeilaufen, ohne dass nach einem gerufen wird. Jetzt also endlich Ruhe mit frischer Luft und Sonne! Die Landschaft ist auch wirklich schön, zwar etwas ausgetrocknet, aber trotzdem voller Pflanzen.
In der Nähe lag dann noch die Tishbi Winery, das war ja auch schließlich der Grund, warum ich nach Zichron wollte!
Die Familie ist im späten 19. Jahrhundert (wie fast alle Familien in Zichron) nach Israel eingewandert und bekam vom wohlhabenden Baron de Rothschild Unterstützung. Er kaufte viele Weinanbaugebiete, wovon die Dorfbewohner immens profitierten. Die Tishbi Familie spezialisierte sich dann auf Wein, Käse und Delikatess-Produkte. Das bekam ich auch beim Tasting zu spüren, weil die Winery mit exzellenter Schokolade aus der ganzen Welt handelte. Für äußerst bescheidene 45 Shekel konnte ich dann 6 äußerst gute Rotweine (darunter ein Dessertwein, wie Portwein) probieren und bekam dazu noch die passende Schokolade serviert. Es war wirklich faszinierend wie man meine zwei liebsten "Betthupferl" miteinander kombinieren und aufeinander abstimmen kann. Mein persönlicher Betreuer Jonathan war äußerst nett und auch etwas aufgeregt, weil ich erst seine zweite Kundin war. Israelis beherrschen bei Ausländern den Smalltalk allerdings perfekt: Warum bist du hier? Was machst du? Wie alt bist du? Bist du Jude? etc... Ich bin es langsam gewohnt.
Auf dem Weingut gibt es auch ein hauseigenes Restaurant und einer "Sourdough Bakery". Mein Magen sehnte sich nach gutem Brot und meiner Nase schwebte ein ziemlich deutscher Geruch aus der Backstube entgegen. Die Kornsemmel war wirklich lecker, obwohl sie sich ganz wie amerikanische (und auch israelische) Brotwaren auf ein Minimum der Anfangsgröße komprimieren ließ...
Aber jetzt dann endlich auf nach Zichron! Das Dorf ist von vielen kleinen und verwinkelten Straßen geprägt und ganz anders als Rishon, geschweige denn Tel Aviv. Im Stadtzentrum befindet sich dann eine der wenigen Attraktionen: Das N.I.L.I Museum im Beit Aaronson. Nach einem einleitenden Film auf Englisch erhielt mangels anderer englischsprachiger Touristen eine kleine Privatführung durch die zwei Häuser und den Kellertrakt für Versammlungen der Aaronson-Familie. Sie bildeten die Organisation "Netzach Israel Lo Yishaker" (Die Ewigkeit Israels wird nicht täuschen/lügen) und operierten während des Ersten Weltkriegs. Ihr Ziel war es sich der osmanischen Besatzung zu widersetzen, die Briten bei der Errichtung eines Staates Israel zu unterstützen und der jüdischen Bevölkerung in Notzeiten zu helfen. Für Israelis ist das natürlich ein Stück Nationalstolz, aber als kritisch denkender Europäer habe ich da einen anderen Blick darauf.
Ich habe mir dann noch die Fußgängerzone angeschaut, in der wegen der Feiertage und Ferienzeit um Sukkot (Blogeintrag folgt bald) viel geboten war. Es gab einige Stände mit Aktivitäten für Groß und Klein, die Cafés waren gut gefühlt und das Flair war etwas europäisch. In der Nähe war noch das First Aliya Museum, welches sich mit der ersten Einwanderungswelle nach Israel Ende des 19. Jahrhunderts beschäftigte. Die Immigranten bauten vor allem den landwirtschaftlichen Sektor aus und probierten das meiste aus dem Boden herauszuholen, in Zichron funktionierte Wein besonders gut. Ich wusste schon einiges durch den Geschichtsunterricht in der 12. Klasse und frischte mein Wissen noch etwas auf.
Im Park gegenüber war noch ein großer Markt mit Secondhand, Schmuck, Kleidung, Lebensmitteln und Antiquariat. Ich liebe es auf solchen Märkten herumzustöbern und zu schauen, was Leute aus ihren jüdischen Haushalten loswerden wollen. Das ist nämlich schon etwas anders als in Deutschland: Viele Menoras, Teekännchen und Gläser, große Teekocher, etc.
Zum Abschluss besichtigte ich dann noch die Carmel Winery. Sie hat Filialen auf der ganzen Welt und exportiert auch sehr viel von ihrem süßen, alkoholhaltigen Traubensaft. Wegen der Feiertage gab es leider nur eine Führung und keine Weinverkosten, das war aber gar nicht schlimm, weil ich noch das erste Tasting im Kopf spürte. Die Weinfelder sind in ganz Israel verstreut, von der Negev bis nach Obergaliläa. Bis vor ein paar Jahren gab es auch noch einen Carmel Weinkeller in Rishon gleich bei mir um die Ecke, der ist mittlerweile leider aus finanziellen Gründen geschlossen. Die Winery hatte auch einen äußerst prominenten Mitarbeiter: David Ben Gurion arbeitete in seiner Jugend für ein paar Jahre bei Carmel.
Nach der Führung machte ich mich dann wieder per Bus und Zug nach Tel Aviv auf. Zichron erreicht man am besten über die Bahnstation in Binyamina und dann mit dem Bus ins Stadtzentrum oder zu den Ramat HaNadiv-Gärten.
In Tel Aviv kaufte ich dann noch äußerst günstige Kleidung auf dem Bezalel Market, wo mir ein leichter Marihuana-Geruch entgegenkam, und ging danach mit meiner WG-Mitbewohnerin äußerst authentisch in einem äthiopischen Restaurant essen. Es gibt nämlich sehr viele Einwanderer aus diesem schönen afrikanischen Land, welche ihre leckeren Rezepte gerne mit Israelis und Touristen teilen.
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