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Gitter über den Straßen

Hebron (arab. Al-Khalil) war für mich schon eine besondere Erfahrung. Nach der Nacht im Flüchtlingslager war ich bereits in die konfliktgeladene Palästina-Stimmung gekommen und in Hebron wurde das dann gleich fortgeführt. Meine Unterkunft war da allerdings ein totales Kontrastprogramm: Durch einen Palästina-Travel-Blog bin ich auf den Couchsurfer Mo aufmerksam geworden. Er hat schon ca. 800 Leute gehostet und hat in seiner kleinen und bescheidenen Wohnung ein liberales und weltoffenes Wohlfühlparadies geschaffen! Zudem haben seine Gäste irgendwann angefangen kleine Nachrichten an seine Wand zu schreiben/malen und mittlerweile ist alles kunterbunt. Auf den Straßen laufen also die Frauen in langen und dunklen Kleidern mit Kopftuch herum und Mo hostet in seinem "kleinen Berlin" (wie er seine Wohnung nennt) die ganze Welt. Dabei muss man wissen, dass er schon ein paar Mal nach Berlin reisen konnte und es für ihn der schönste Ort auf der Welt ist. Dort muss er nicht seine Mohammad-Identität aufsetzen (wie vor seiner Familie), sondern kann der Mo mit Piercing und verrückter Frisur sein.

Als Stadt hat Hebron in touristischer Hinsicht nicht allzu viel zu bieten. Trotzdem habe ich mir zwei Tage Zeit genommen, um die Atmosphäre der Stadt aufzusaugen. Das neue Hebron ist eine relativ normale arabische Stadt. Viele Läden, Cafés, Studenten, etc... Ich bin natürlich sofort aufgefallen, da ich kein Kopftuch trug - allerdings wurde ich nicht wie in Jerusalem und Bethlehem immer angequatscht. Für mich war das irgendwie viel angenehmer, ich genoss diese gewisse Anonymität richtig! Außerdem war man vor Touri-Läden und Ähnlichem sicher und in Hebron kann man dann das palästinensische Leben sozusagen "ungefiltert" wahrnehmen. Wenn man Richtung Altstadt geht, werden eigentlich alle Straßen wie zu Märkten, an den Verkehrsinsel stehen Tee- und Kaffeeverkäufer, Bekleidungsgeschäfte und Falafel für nur 3 Schekel. In Hebron wird das Falafel Sandwich übrigens üblicherweise noch mit Pommes gefüllt, eine regionale Spezialität.

Der Westen Hebrons ist nicht wirklich sehenswert, eigentlich wollte ich mir die Abraham-Eiche mitsamt Kirche anschauen, aber mangels touristischen Interesses ist das Gelände geschlossen und es gibt auch keine Öffnungszeiten.

Richtig interessant wird es dann eigentlich erst in der Altstadt, auch wenn sie sehr deprimierend ist. Man muss sich grundsätzlich in Palästina daran gewöhnen, dass die Straßen vermüllt und ziemlich dreckig sind - in Hebron fand ich es aber extrem. Das mag auch daran liegen, dass die Altstadt wie ausgestorben ist - von den Einheimischen wird sie als "Ghost Town" beschrieben. Früher hatte Hebron einen der schönsten Suks Palästinas, doch dann kamen die jüdischen (radikalen) Siedler und bauten ihre Wohnung oben auf die arabischen Häuser drauf. Sie warfen dann von oben Steine und Müll auf die Suk-Händler und ruinierten damit ihr Geschäft. Deswegen versperren heutzutage Gitter den Blick in den Himmel, die Gassen fühlten sich für mich wie ein Gefängnis an. Zudem schütten Siedler mittlerweile dann einfach manchmal Bleichmittel oder Abwasser bzw. Exkremente auf die Läden. Fast alle Händler haben ihr Geschäft geschlossen und nur noch wenige versuchen äußerst verzweifelt, teilweise aufdringlich und zornig ein paar Shekel zu verdienen. 

Mo erklärte mir, dass er wegen dieser "bad vibes" die Altstadt seit Jahren meidet und dass sich die Altstadtbewohner deutlichen von den anderern unterscheiden. Sie haben eine gewisse Bitterkeit und ein hasserfülltes Herz.

Das touristische Highlight ist mit Abstand die Al-Ibrahimi-Moschee: Man muss sowohl durch eine israelische als auch durch eine palästinensische Kontrolle, wenn man die Moschee besichtigen will. Das besondere daran ist, dass sie zwischen Muslimen und Juden geteilt ist, weil für beide Religionen das Grab Abrahams dort ein äußerst heiliger Ort ist. Mittlerweile ist alles um das Grabmal Abrahams, das von beiden Seiten eingesehen werden kann, mit Gittern und Panzerglas abgesperrt. 1994 wurde in der Moschee ein Attentat eines radikalen Juden auf alle betenden Muslime verrichtet und nur wenige überlebten. Ich konnte durch einen bloßen Zufall einen der Überlebenden kennen lernen, da er (wie so manche Einheimische) mir vor der Moschee eine kleine Führung anbot. Er hat es heil aus der Moschee geschafft, da er hinter einem Pfeiler betete und somit nicht von den Kugeln des Attentäters Goldstein getroffen wurde.

Danach habe ich mir dann alleine den jüdischen Teil der Moschee angeschaut, Palästinenser dürfen den natürlich nicht betreten. Die Moschee stellt nämlich auch den Übergang vom arabischen Hebron zu den jüdischen Siedlungen dar. Die Siedler befinden sich äußerst nahe an der Altstadt, dem Lebensmittelpunkt einer jeden arabischen Stadt. Vor allem deswegen ist es in Hebron so kritisch, da Araber und Juden dicht aufeinander gedrängt irgendwie ko-existieren müssen und jeder die Vorherrschaft will. Ich bin noch lange durch den jüdischen Teil gelaufen und habe verzweifelt nach den ausgeschilderten "Sehenswürdigkeiten" gesucht, letztendlich befand ich mich wieder in einer Geisterstadt. Es war ganz komisch keine Leute auf den Straßen zu sehen, nur ein paar kleine Kinder die am Straßenrand kauerten und mit Dreck und Abfall spielten... Schließlich fand ich eine Tafel, die einen Abraham Pfad mit schönen Ausblicken beschrieb - genau das, was ich gebraucht hätte! Mir verging es aber bald, da ich innerhalb von 5 Minuten an einem israelischen und einem palästinensischen Checkpoint (schwer bewaffnet natürlich) vorbei musste und der Weg im Wesentlichen aus Wellblech, Stacheldraht und Müll bestand.

Zurück im arabischen Teil traf ich unverhofft meinen Guide wieder und er führt mich noch ein bisschen weiter herum. Zudem erklärte er mir, dass sich die jüdischen Siedler weiter ausbreiten wollen und man sah auf der anderen Seite auch viele Fahnen einer jüdischen Militäreinheit an ihren Einsatzfahrzeugen wehen. Mir sind auch selber schon die ganzen alten verlassenen Gebäude aufgefallen, die eigentlich schön restauriert werden könnten - darf man aber nicht! Mir wurde erklärt, dass die Siedler-Truppen die verwüsteten Räumlichkeiten manchmal als observations points gebrauchen und Palästinenser dürfen die natürlich nicht betreten - ich schon.

 

Nach all dem war ich ziemlich verwirrt und deprimiert und wollte ehrlich gesagt nur noch weg! Zum Glück kann man in Hebron aber auch noch ein paar schöne Sachen machen: Ich würde definitiv die Kuffiyeh Fabrik empfehlen (für Wegbeschreibung bitte mich persönlich anschreiben). Die meisten arabischen Kopftücher (wie bei Yassir Arafat) werden mittlerweile aus China importiert, doch es gibt noch eine einzige Fabrik in Palästina! Es hat Jahre gedauert bis die Familie die Technik perfektioniert hat und heute laufen die Maschinen fast jeden Tag von morgens bis um 15 Uhr. Sie produzieren Tücher in allen möglichen Farbkombinationen und man kann einfach in die Fabrik reingehen und bei mit einem Glas Tee alles anschauen. Ich habe mich noch etwas mit dem Inhaber unterhalten und ich war wirklich positiv überrascht, wie er auf mich als Volunteer in Israel reagiert hat. Er hat sich richtig gefreut und mir sogar gedankt, dass ich anderen Menschen (eigentlich im "Feindeslager") helfe - diese Begegnung tat einfach gut!

Hebron ist außerdem noch für seine Keramik- und Glasproduktion bekannt und im Norden der Stadt kann man auch eine Fabrik besichtigen und natürlich schöne Andenken kaufen. Etwas Shopping tut nach so einem Tag schon irgendwie der Seele gut!

Noch ein Tipp für alle Traveller: Mo veranstaltet des Öfteren eine Hummus House Party donnerstags, die er auf Couchsurfing ankündigt. Es kommen alle möglichen Leute von allen möglichen Orten dieser Welt zusammen und genießen einfach zusammen einen Abend. Dadurch habe ich auch eine junge amerikanisch-palästinensische Frau kennen gelernt, die in Bethlehem wohnt und in Hebron als Freiwillige Englisch-Unterricht gibt. Wer also in Hebron nur auf der Durchreise ist, sollte auf diese Weise unbedingt bei Mo vorbeikommen!

An einem Abend nahm er mich noch zu seinem alltäglichen Abendspaziergang mit, der aus der Stadt herausführt zu einem Feld mit tollem Ausblick. Es wehte ein leichter Wind und Mo sagte: “I am not far away from the sea, maybe 30 minutes but it is unreachable for me. At least the wind brings me the smell, that's the only thing I can get.“

Ich fand das sehr berührend und da wird einem erst richtig bewusst wie gesegnet wir mit unserer Reisefreiheit sind.

 

Kurz zur Verkehrsanbindung: Von Bethlehem kommt man recht schnell nach Hebron und die Serveece fahren regelmäßig. Als ich nach Jericho weiter wollte, musste ich 1,5 Stunden warten, bis man endlich losfahren konnte... Ich hatte das Gefühl, dass Leute wesentlich häufiger nach Ramallah fahren und diese Verbindung besser funktioniert. Am Ende des Tages kommt man aber mit etwas Geduld und einem stabilen Magen auch gut am Zielort an, Serveece-Fahrer neigen dazu über die holprigen Straßen zu rasen und nicht jeder europäische Magen verträgt das so gut...

 

 

Mein persönliches Fazit zu Hebron: Ich bin froh um diese Erfahrung, weil sie meinen Horizont um einiges erweitert hat und ich wesentlich kritischer denke. Trotzdem war ich froh, endlich aus dieser Stadt abreisen zu können, weil mir die düstere Stimmung zu viel wurde. Wenn man nicht dort aufgewachsen ist, dann ist der Konflikt einfach nur unverständlich, unerträglich, unbegreifbar und unverdaubar... Mir schlug das alles ziemlich auf die Laune und ich brauchte etwas Urlaubsstimmung.

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