Mit wem arbeite ich eigentlich im Krankenhaus? Es gibt natürlich den Oberarzt, normale Ärzte, Ärzte in der Facharztausbildung, Studenten im PJ, Studenten nach dem 4. Semester, Krankenschwester, Krankenschwestern in der Ausbildung und noch Kuach Eser. Wörtlich übersetzt heißt das soviel wie physische Hilfe (kuach=Kraft, eser=Hilfe) und ich bin eine davon. Eigentlich bin ich nur Freiwillige und müsste das nicht machen, aber mittlerweile nimmt mich jeder als normale Kuach Eser war - ich mache meine Arbeit eben gut. Es gibt auch Israelis, die anstatt ihres Militärdienstes einen Sozialdienst ableisten. Einige arbeiten nur in der Buchhaltung und machen Botengänge zur Apotheke und Lagerräumen und andere haben davor einen einmonatigen Kurs gemacht, um Blut abzunehmen.
Als Kuach Eser arbeiten wir immer im Team und in der Morgenschicht sind wir mit mir 4 oder 5 Leute. Wir starten damit Windeln zu wechseln, Leute zu duschen (oder im Bett zu waschen), die Krankenschwestern verarzten dabei noch wunden (und wir müssen auf sie immer lange warten) und manche setzen wir dann auch noch in einen Sessel. Manche müssen wir entweder im Bett mit Handmanschetten fixieren , sodass sie sich keine Zugänge oder Nasensonden herausreißen. Andere binden wir im Sessel fest, sodass sie nicht aus Verwirrtheit aufstehen und versuchen zu laufen oder auch beim Schlafen nicht umfallen.
Der Großteil unserer Patienten ist 60+ und somit ist die Pflege sehr aufwändig, weil die wenigsten dann noch selbstständig sind. Auf der Inneren kann man aber absolut ALLES bekommen und es sind nicht immer nur irgendwelche Durchfallerkrankungen usw. Eine Zeit lang habe ich auch noch zusätzlich auf der Allgemeinen Intensivstation gearbeitet, aber meine Chefin und Kollegen waren nicht so glücklich, dass ich fehlte. Deswegen hörte ich dort dann auf und arbeite jetzt nur noch auf der Inneren. Hier mal einen kleinen Überblick an interessanten Fällen und Situationen:
- FOP: Fibrodysplasia ossificans progressiva ist eine unheilbare Krankheit mit weltweit 800 Fällen und 2 in Israel. Kurz gesagt verknöchert der Mensch, da sich unkontrolliert immer mehr neue Knochen bilden. Gelenke versteifen und der Patient wird komplett immobil. So einen Patienten bekommt man wahrscheinlich nur einmal in seinem Leben zu Gesicht
- Zehenamputation: Wir hatten mal einen jungen Thailänder auf Station, der weder Englisch noch Hebräisch sprach. Er wurde anscheinend an einer Baustelle aufgefunden und war stark unterkühlt. Deswegen haben sich seine Zehen entzündet und starben ab. Vor der Operation war der Geruch beim Verbandswechsel speziell...
- Hamas und Ausschwitz: Einmal lagen ein inhaftierter Hamas-Attentäter, der sich in einer Menge von Juden hochsprengen wollte, und der Sohn von in Ausschwitz getöteten Eltern in einem Zimmer. Diese Situation werde ich mein Leben lang nicht mehr vergessen!
- Herpes: Einmal hatte ein Patient einen riesigen Herpes im Gesicht, es hat schon fast wie eine Beule ausgesehen. Ein Krankenpfleger hat gemeint, ich solle nicht mit ihm arbeiten, weil es zu gefährlich ist.
- CPR: Im Intensivraum sollte ich eigentlich bloß den Blutzucker bei einer Patientin messen und der zuständige Krankenpfleger saugte aus ihre Tubus gerade noch ein bisschen Schleim ab. Auf dem Monitor sah ich, dass sich Linie des Herzschlages glättete... Er drückte einmal ihren Brustkorb ein und es gab einen kleinen Ausschlag. Ich rannte und holte den Reanimationswagen und alle riefen wie verrückt auf der Station herum, um die Ärztin der Abendschicht zu finden. Genau dabei trudelte die Familie der Patientin für einen Besuch ein.
- Gefährliche Magenverkleinerung: Eine 40-jährige Patientin landete nach einer eh schon als gefährlich eingeschätzten Magenverkleinerung auf unserer CRE-Station (für multiresistente Krankenhauskeime). Dort lag sie mehr als 5 Monate und entwickelte eine riesige Druckwunde am Gesäß. Man konnte ganze Wundpäckchen hineinstopfen und die Wunde war bestimmt 4 cm tief.
- Gefallen: Einmal hatten wir eine ca. 200kg schwere Patientin, die sich nicht selber bewegen konnte. Sie füllte das ganze Bett aus und sie zu waschen war ein Kraftakt - da kamen sogar unsere Jungs ins Schwitzen. Als wir sie wendeten klappte das Geländer ihres Bettes (auf Wunsch von zuhause) hinunter und sie fiel gestützt von einer Kollegin langsam mit Gesicht vorwärts auf den Boden. Wir schmissen alle möglichen Kissen auf den Boden, um den Sturz abzufedern. Wir holten unseren kleinen Hebekran für Patienten und der musste auch schwer arbeiten, aber sie war wieder zurück im Bett.
- Geschockt: Eine 60-jährige Patientin kam wegen eigenartigem Durchfall (wie Wasser) und schlechtem Allgemeinzustand auf Station. Am Morgen war sie noch ansprechbar, zwar schlapp, aber eigentlich in Ordnung. Mittags als sie ihre Töchter besuchten kippte sie plötzlich weg und hatte einen Herzstillstand. Die Töchter schrien natürlich wie verrückt herum, Ärzte kamen und auf allen Stationen wurde herumtelefoniert, da wir einen Interosseus Big brauchten. Etwas stabilisiert wurde sie auf die Herzintensiv gebracht und verstarb 2 Stunden später.
- Die extremste Erfahrung bis jetzt war wahrscheinlich die Abendschicht, in welcher ich half einen verstorbenen Patienten herzurichten und in das blaue Leichentuch zu hüllen. Sowas vergisst man nicht mehr...
Ich könnte wahrscheinlich noch hunderte von Geschichten erzählen, aber die haben auf meinem Blog keinen Platz.
Mittlerweile habe ich auch bei der Arbeit den Punkt erreicht, dass es leicht monoton wird. Jeden Tag der gleiche Ablauf: Windeln wechseln, Essen austeilen und einsammeln, Monitore putzen und alles am Nachmittag von vorne.
Zugegebenermaßen schicken mich meine Kollegen auch gerne zum Putzen, aber das muss eben auch gemacht werden. Ab und an habe ich Zeit, um den Blutzucker bei unseren vielen Diabetespatienten zu messen und manchmal darf ich auch Vitalitätszeichen und EKG machen. Allerdings sieht mich meine Chefin meist lieber mit den anderen Kuach Eser arbeiten, weil ich dort zeitlich gesehen eine größere Hilfe bin. Für mich springt dann zwar als Lerneffekt nicht mehr so viel heraus, aber naja...
Medizinisch lerne ich zwar wenig an Fachwissen, aber man bekommt eine gute Intuition gegenüber den Patienten. Man kann schnell abschätzen, wie sich ihr Allgemeinzustand wahrscheinlich entwickeln wird und weiß, wie man mit ihnen zu reden hat. Als Kuach Eser bekommt man eben alles von ihnen ab, weil man die meiste Zeit mit ihnen verbringt. Manche sind wirklich lieb und segnen einen für sein zukünftiges Leben, wohingegen andere einen anschreien, beschimpfen und schlagen. Man muss eben trotzdem mit ihnen arbeiten und sie irgendwie überreden mitzuarbeiten. Außerdem fallen mir auch viele Sachen bei Ärzten und Krankenschwestern auf, die ich selber gerne anders machen würde. Viele hören ihren Patienten nicht zu oder man muss ihnen 5-mal Bescheid geben, bis sie endlich zu ihrem Patienten gehen. Ich hoffe, dass diese Erfahrung alle Volontäre mit Mediziner-Ambitionen zu besseren Ärzten machen wird.
Schon bei den Studenten sieht man einige faux-pas, sie lassen die Patienten nach der Blutabnahme mit abgebundenem Arm liegen oder schmeißen Nadeln einfach aufs Bett - das ist extrem gefährlich! Viele achten weder auf Ordnung noch auf Sauberkeit und man muss ihnen alles hinterherräumen. Wenn sie Blutabnehmen, ist danach das ganze Bett blutig und sie denken natürlich nicht daran einfach ein Handtuch unter den Arm oder das Bein zu legen - ich muss dann alles wieder neu beziehen. Ich bin für diese Erfahrung sehr dankbar, weil ich jetzt wirklich weiß, wie es ist schwer zu arbeiten. Das ist nicht nur physische Anstrengung, sondern auch psychisch herausfordernd. Man wird wesentlich aufmerksamer gegenüber seinen Mitmenschen und auch für einfache Dinge dankbar. An manchen Tagen kommt man nur von der Arbeit heim und denkt sich: "Wie gut geht es mir denn?! Ich kann alleine auf Toilette gehen und muss nicht gefüttert werden!"
Aber kann ich jetzt eigentlich effektiv etwas im Krankenhaus bewirken?
Ich denke schon... Einerseits entlaste ich meine Kollegen und laufe öfter als manch anderer zu Patienten, wenn sie klingeln und irgendetwas brauchen. Mit der Zeit stumpft man zwar ein bisschen ab, aber ich versuche mit immer noch Zeit für die Menschen zu nehmen und auch meinen Kollegen das zu vermitteln. Letztlich habe ich das Gefühl, dass für die Patienten mehr Zeit herausspringt und wir uns besser um sie kümmern können.
Zusätzlich haben wir seit Januar ein geriatrisches Physiotherapie-Projekt gestartet. Vom Leiter der Physio-Abteilung wurde uns in exzellentem Englisch die Basis an Gehtherapie vermittelt und somit drehen wir mit stabilen Patienten zu zweit eine kleine Runde auf der Station. Viele ältere Leute laufen nämlich zuhause, aber trauen sich bei einem Krankenhausaufenthalt nicht mehr oder sind alleine zu schwach. Schon nach einer Woche können sie dann die Fähigkeit zu laufen verlieren und wären bei einer Entlassung komplett hilflos. Dem können wir als Volontäre leicht entgegenwirken, indem wir wenige Schritte mit ihnen gehen und jeden Tag sie zum trainieren motivieren. Man sieht wirklich große Fortschritte bei den Patienten und einige mit Parkinson haben sich innerhalb einer Woche von 3m auf 50m gesteigert!
Würde ich das Krankenhaus wieder wählen?
JA! Ich habe richtig Blut geleckt und mir macht die Arbeit großen Spaß. Das schönste daran ist wirklich das Gefühl und Wissen, dass man Menschen hilft und etwas Sinnvolles in seinem Leben macht. So anstrengend die Arbeit auch ist und auch wenn man an manchen Tagen komplett geplättet ist, starte ich am nächsten Tag gerne wieder in eine neue Schicht. Auch die Teamarbeit und das Klima ist super! Es gibt immer ein paar Kollegen, die weniger nett sind oder ein bisschen weniger gut und enthusiastisch arbeiten, aber endlich sehe ich mal, dass Teamwork richtig gut funktionieren kann.
Persönlich tut mir das Krankenhaus auch glaube ich besser als eine Praxis, weil man sich nicht so intensiv in seine Patienten und deren Geschichten hineinversetzen kann. Man muss sich auch selber emotional schützen, denn viele sterben eben auch. Auf der Station hat man einen regen Wechsel und ich habe das Gefühl somit rationaler arbeiten zu können.
Als Mensch hat mich das Krankenhaus ziemlich verändert und man bekommt einen anderen Blick aufs Leben. Diese Erfahrung ist nicht immer leicht, aber ich bin froh, sie machen zu dürfen! Ich werde noch lange die ganzen Krankenhaus-Geschichten erzählen... Zum Glück habe ich in meinem Krankenhaus-Tagebuch alles aufgeschrieben, es wäre zu schade das alles zu vergessen.
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