Vorbereitungsseminar

Warum bin ich bloß so aufgeregt?! Endlich kann ich die anderen Volontäre kenne lernen, mit denen verbringe ich ja schließlich ein ganzes Jahr im gleichen Land, in der gleichen Stadt oder sogar in der gleichen WG...

 

Jetzt mal alles von vorne: Wenn man so einen Freiwilligendienst macht, muss man auch an durchschnittlich 25 Tagen Seminar teilnehmen. Dazu zählen der Bewerbertag, die Zeit für das Spendensammeln, das Vorbereitungsseminar, Zwischenseminare in Israel und das Nachbereitungsseminar. Das Seminar fand in Teterow (geographische Mitte von Mecklenburg-Vorpommern) statt, wieder schön weit weg aus bayerischer Sicht. Der Termin wurde auch erst relativ spät offiziell per Post bekannt gegeben, zum Glück habe ich schon einen Monat davor per Telefon das Datum erfragt. Das Seminar ging von Sonntag bis Samstag, natürlich musste extra Zeit für den Weg einrechnen...

 

Ich bin also schon am Samstag nach Mainz gefahren, weil Samuel (Volunteer in Haifa) angeboten hat mit dem Auto noch ein paar Leute aus Süddeutschland mitzunehmen - die Zugverbindung nach Teterow ist nämlich schön sch**** um ganz ehrlich zu sein. Dort haben dann Konstantin (ebenfalls aus Bayern) und ich übernachtet, am nächsten Tag sind wir schon um halb acht losgefahren, um Clara in Frankfurt aufzusammeln. Mit dem Verkehr hatten wir viel Glück und kamen dann schließlich ziemlich fertig um 16 Uhr im DRK Bildungszentrum in Teterow an (gefühlt mitten im Nirgendwo). So langsam trudelten auch die anderen ein und natürlich wurde gleich ein Internetanschluss gesucht, um das Deutschlandspiel anzuschauen. Wir waren nicht nur Freiwillige für Israel, sondern auch von den anderen IJFD-Programmen in Dänemark und Polen (aber Israel war eindeutig in der Überzahl).

Nach dem gemeinsamen Abendessen gab es abends noch eine kleine Kennenlernrunde (bei knapp 30 Leuten dauert das Namenlernen eine Weile) und die Zimmer wurden verteilt. Ich bin gleich mit meiner künftigen Arbeitskollegin Lisa auf ein Zimmer gegangen, wir verstehen uns auch echt super. Ehrlich gesagt habe ich schon etwas Angst gehabt, dass ich mich mit ihr nicht verstehen würde - wir leben ja in der gleichen Stadt und werden auch irgendwie zusammen arbeiten.

 

Der nächste Tag startete mit einem großen Informationsblock durch den Geschäftsführer der DRK Freiwilligendienste. Die vielen praktischen Fragen, die wir am Vortag gesammelt hatten, konnten größtenteils geklärt werden: Spenderkreis aufbauen? Verpflegung und Unterkunft? Anreise? Kosten und Taschengeld? Versicherung? 

Ganz wichtig war auch, dass wir unsere Aufgabe bei dem Freiwilligendienst richtig verstehen: Wir sind keine Entwicklungshelfer, sondern wir unterstützen. Wir sind also helfende Lerner und lernende Helfer und von uns werden zentrale Eigenschaften erwartet: Flexibilität, Demut, Eigeninitiative, Kommunikation. Natürlich lässt uns das DRK dabei nicht allein, vor Ort können wir uns nämlich immer an Mentoren wenden. Diese können uns in ganz alltäglichen Angelegenheiten helfen und Tipps geben, aber auch als Vermittlungsstelle zwischen Partnerorganisation und dem Einsatzprojekt (nur wenn wir das nicht selber klären können natürlich). Aktiv wurden wir dann bei der Diskussion über Stärken und Schwächen von Freiwilligen, ich hätte wirklich nicht gedacht, dass es dabei so hitzig zugehen kann. Dann macht man sich aber wenigstens mal Gedanken darüber, ob Eigenschaften erst im Dienst erworben werden oder schon von Anfang an vorhanden sind...

Dann war der lange Tag auch schon vorbei und abends wurde noch fleißig Volleyball gespielt - erstaunlicherweise sind wir nach einem Tag als Gruppe schon gut zusammengewachsen.

 

Auf Dienstag habe ich mich dann richtig gefreut, war zunächst aber auch etwas aufgeregt, wie ich mich so machen würde... Auf dem Programm stand nämlich einen ganzen Tag lang Einführung in die Pflege. Zum Glück haben wir ein paar Basics mitgekriegt, weil ich war mir schon ziemlich unsicher, ob ich das schaffen würde mit anderen Menschen so umzugehen. Das war tatsächlich eine meiner größten Sorgen beim FSJ - kann ich Menschen umlagern? Habe ich Angst vor zu viel Körperkontakt? Zum Glück war die Sorge nach diesem Tag verschwunden!

Das Thema ist nämlich viel komplizierter und tiefgründiger als man vermutet, man muss sich wirklich mit der Anatomie und Funktionsweise des menschlichen Körper auskennen. Sonst kann man seinem Pflegepartner (NICHT Patient, vom Lateinischen hieße die Person dann nämlich "der (Er-)Leidende") nicht helfen und vor allem auch sich selber Schaden zufügen, typischerweise in Form eines Bandscheibenvorfalls.

Die meisten von uns arbeiten ja auch im Krankenhaus oder in einer Autisteneinrichtung, aber auch für die anderen war es wirklich interessant - man weiß ja nie, wie schnell man in der Familie die Pflegekompetenzen braucht. Hier kommen dann jetzt mal ein paar wichtige Inhalte, ich halte sie einfach für enorm wichtig und auch total spannend:

Am Mittwoch mussten wir uns dann mit dem Thema Stress und persönlich Grenzen auseinandersetzen. Was mach ich, wenn es Probleme gibt und ich nicht mehr kann? Wichtigste Message war dabei: Macht euch nicht fertig im Freiwilligendienst! Ihr seid keine Weltverbesserer und müsst vor allem zuerst auf euch selber achten!

Ich fand es wirklich gut, dass das so explizit betont wurde - ich kann mir gut denken, dass einige von uns eine Art "Helfersyndrom" haben. Wir wollen immer für alle anderen da sein und so gut und so viel helfen wie nur irgendwie möglich ist - doch wo bleiben dann wir selbst? Am Ende muss uns geholfen werden. 

Also müssen wir immer für Entspannung und Ruhephasen sorgen, wir haben festgestellt, dass da jeder seine eigenen Wege findet: Sport, Musik, Freunde, Essen/ Kochen, Lesen,... Eine davon haben wir gleich in der Praxis ausprobiert, Yoga! Für jeden Tag hatten wir zwei Wellnesspausen-Checker, dass es nicht zu anstrengend wird beim Seminar. Netterweise haben die beiden Mädels eine kurze Yogaeinheit vorbereitet und tiefenentspannt gingen wir dann zum Mittagessen.

Nachmittags sollten wir dann in einem Hochseilgarten unsere eigenen Grenzen austesten und auch wirklich alle haben mitgemacht. Ich selbst war schon seit vielen Jahren nicht mehr im Klettergarten und weiß nur noch, dass ich beim letzten Mal schon ziemlich Angst hatte... Bei den ersten drei Stationen war mir noch etwas komisch, aber danach hat es einfach nur noch total Spaß gemacht zusammen mit den anderen!

Zum Glück hat auch das Wetter noch mitgespielt, sodass man abends sogar noch zum Teterower See fahren konnte :)

Und schon wieder war ein Tag vorbei...

 

Donnerstag war dann wieder ein sehr redelastiger Tag... Es drehte sich alles um das Thema Kultur.

Was ist Kultur? Wie gehe ich mit anderen Kulturen um?

Kultur kann man sich als Eisberg vorstellen: Nur die sichtbare Spitze ist das sichtbare und bewusste, der große Rest unter der Wasseroberfläche ist das unsichtbar und unbewusste. Kulturen sind vor allem auch abhängig von der Generation und unterliegen auch einem gewissen Wandel, das hängt natürlich mit der Lebensweise zusammen. Man darf auch nicht alle Menschen der gleiche Nationalität in einen Topf schmeißen - natürlich gibt es Kulturstandards in Kommunikation, Regeln, Beziehungen, Privat- und Arbeitsleben,etc. Die müssen aber nicht für jeden Einzelnen gelten (ich komme aus Bayern und spreche i.d.R. keinen Dialekt!).

Ganz wichtig bei dem Kennenlernen einer neuen Kultur: Zuerst nur beobachten und nicht sofort interpretieren!

Das sollten wir auch ganz schnell selbst erfahren... Wir teilten uns in zwei Gruppen auf und jede sollte eine eigene Kultur neu entwickeln nach bestimmten Vorgaben. Also neue Sprache, Werte, Gründungsmythos, etc... Die jeweils andere Gruppe statte der neuen Kultur dann einen Besuch ab und sollte herausfinden, was es mit diesen Leuten so auf sich hat.

Es gab eine SPI(ele)-Kultur, die missverständlicherweise als Spießer-Kultur identifiziert wurde, und eine FA(milien)-Kultur. Wir haben gegenseitig fast alles falsch interpretiert und im Großen und Ganzen nichts verstanden...

Das Problem dabei ist nämlich, dass wir eine neuen Kultur immer mit der "deutschen Brille" betrachten und fremde Verhaltensweisen nach unseren bekannten Wertmaßstäben und Regeln deuten...

Damit liegen wir meistens total daneben!

Nachmittags wurde noch das Zusammenleben in der WG thematisiert, vor allem die Eskalation und Deeskalation von Konflikten. Die Quintessenz davon war, dass man eine Aussage auf 4 verschiedene Weisen sagen und auch verstehen kann. Das heißt es besteht ein enormes Potenzial dafür einander falsch zu verstehen, wenn keine schlecht oder böse Absicht hinter einer Aussage steckt. Es gibt 4 sogenannte "Ohren" für diese Nachrichten: Sachebene, Beziehungsebene, Appellebene, Selbstoffenbarungsebene. Viele Leute (vor allem Frauen) verstehen den Großteil der Nachrichten auf der Beziehungsebene, besonders konfliktreich ist das, wenn Männer sich dann auf der Sachebene ausdrücken...

 

Somit wären wir schon bei Freitag - Selbstverteidigung!!!

Das wollte ich sowieso schon lange machen und ich denke für allem als Mädel fühlt man sich wohler, wenn man irgendeine Ahnung und Strategie hat. Außerdem war der Vortag sehr anstrengend mit der ganzen Sitzerei...

Der Referent war anfänglich etwas einschüchtern, weil er ein richtiges Muskekpaket (aber sehr nett!) war. Zusätzlich hat er sich zur Demonstration immer die schlacksigen Jungs ausgesucht, die dann sehr häufig am Boden (teilweise sehr unsanft) landeten. Auch hätte ich mir nie vorstellen können, wie schön es sein kann einfach mal auf ein Schlagpolster zu hauen und richtig Dampf abzulassen ;) Neben dem ganzen Spaß haben wir natürlich auch viel gelernt:

Nachmittags hatten wir noch eine kurze Einheit zum Thema Kultur (mal wieder) und konnten bei einem weiteren Spiel mal wieder feststellen, dass wir alle bei der Interpretation von kulturellen Gepflogenheiten und Bräuchen sehr vorsichtig sein müssen - ich denke das werden wir auf jeden Fall von diesem Seminar in Erinnerung behalten.

Danach hatten wir ein sehr schönes Thema finde ich: Ziele. Wir sollten persönliche Ziele für 3, 6 und 12 Monate formulieren. Ganz gerne schweift man da vielleicht etwas von konkreten Vorstellungen ab, deswegen...

Spezifisch

Messbar

Attraktiv

Realisierbar

Terminiert

=> formuliert man Ziele SMART.

Hier mal ein kleiner Auszug meiner Zielsetzungen:

  • 3 Monate: hebräischen Einkaufszettel schreiben können, 4-mal wöchentlich Yoga machen, ein Fahrrad besitzen, auf dem Markt einkaufen, Krav Maga ausprobieren
  • 6 Monate: Plan für September 2019 haben + Bewerbung dafür, mindestens 3 Reisen in Israel unternommen haben, Antwort auf die Frage "Will/Werde ich Medizin studieren?", 3 neue israelische Freunde/Kontakte
  • 12 Monate: Grundkenntnisse in Arabisch für die Jordanienreise, Top 10 Sehenswürdigkeiten in Israel gesehen haben, mindestens 10 israelische Gerichte probiert haben, in Eilat bei den Delfinen gewesen sein, jeden Monat ein Buch gelesen haben

Zum Abschluss verfassten wir noch einen Brief an unser Zukunfts-Ich in einem Jahr... was will ich mir bloß sagen und was will ich in einem Jahr lesen?

Den letzten gemeinsamen Abend verbrachten wir noch gemütlich mit Grillen und Musik.

 

Schon der letzte Tag, die Zeit verfliegt!

Eigentlich war es nur noch die Zimmerabnahme und eine Abschlussreflexion und Verbesserungsideen. Am schönsten fand ich es aber, dass sich jeder einen Pappteller auf den Rücken klebte und alle anderen jeweils ein paar nette Worte darauf schrieben. Das hört sich am Anfang wahnsinnig kindisch an und ich fand es etwas befremdlich ehrlich gesagt. Eigentlich ist es aber eine unglaublich nette Geste, man sagt seinen Mitmenschen viel zu selten, was man an ihnen schätzt und dass man sie mag. Das sollten wir ändern!

 

Und wir saßen wieder im Auto auf dem Rückweg nach Mainz, zum Glück hatten wir trotz Ferienstart in zwei Bundesländern keinen Stau und kamen um 20 Uhr pünktlich zum Anpfiff des Deutschlandsspiels in Mainz an. Am nächsten Tag ging es für mich mit dem Zug wieder zurück ins Allgäu... Dank der Deutschen Bahn mit 2 Stunden Verspätung.

 

PS.: Eine Frage aus dem Seminar geht mir nicht aus dem Kopf: Kann ein Freiwilligendienst helfen? Die Diskussion darüber war auch eher uneindeutig...